Marias jungfräuliche Mutterschaft: Ein völkerpsychologisches Fragment der Sexualsymbolik - Taschenbuch

Den kultischen Aspekten der christlichen Marienverehrung wird bis heute kaum Beachtung geschenkt. So ist auch die Diskussion um das kirchliche Dogma der jungfräulichen Empfängnis Marias weitgehend der Theologie überlassen geblieben. Dieser Befund macht eine Wiederauflage der 1914 erschienenen Studie zu "Marias jungfräulicher Mutterschaft" sinnvoll.Storfer beginnt mit dem mythischen Stoff von "Marias Darbringung". Der Überlieferung aus dem Protevangelium des Jakobus entnimmt er einzelne Elemente der Darbringung der dreijährigen Maria im Tempel: so ihre Begleitung durch die Eltern und fackeltragende Jungfrauen; die Ersteigung der 15 Tempelstufen und der Tanz der Dreijährigen nach der Weihe; die Tätigkeit der Tempeldienerin Maria als Weberin; nicht zuletzt die Darstellungen Marias mit einem durchsichtigen Gewand und über die Brust herabwallenden Haaren und ausgebreiteten Armen usw. Jedem dieser Motive widmet Storfer sodann ein Kapitel, in dem er Bezüge oder Differenzen zu Gebräuchen von Naturvölkern wie Menstruationsweihen, Keuschheitsopfern oder kultischen Keuschheitsgeboten, Hochzeitszeremonien oder Hetärenverehrung im Altertum etc. herstellt. Die weiteren mythischen Stoffe sind "Josefs Auserwählung" und "Marias Verkündigung",ergänzt durch zwei Kapitel zu den "Maria-Symbolen" und der "phallischen Komponente der Christusvorstellung". Ganz im Geiste der frühen Psychoanalyse entfaltet Storfer ein reichhaltiges Kaleidoskop (heidnisch-)kultischer "Überbleibsel" oder "Einsprengsel", die sich auch als kollektives Unbewusstes in der christlich-abendländischen Kultur niedergeschlagen haben.Ergänzt wird der Band durch eine 1911 erschienene, kürzere Studie Storfers "Zur Sonderstellung des Vatermords". Auch hier handelt es sich um religionspsychologische Deutungen - hier des Mordverbots -, die bei Religions- und Mythenbildungen vorchristlicher Zeit ansetzen. Anders als zu erwarten, spielt aber der ödipale Konflikt nur eine Nebenrolle; Storfer hebt vielmehr ab auf die gemeinschafts- und staatenbildende Funktion der Sanktionierung des Vatermords in unterschiedlichen Kulturen.Beide Studien werden mit einem Vorwort des Religionswissenschaftlers Rudi Thiessen versehen.