1976, ISBN: 9783150000014

[ED: Taschenbuch], [PU: Reclam Verlag], starke gebrauchsspuren, einband an den kanten bestoßen etwas fleckig,papiergebräunte seiten und schnitt (Bi420v) Nach der Vollendung des »Faust« sc… Mehr…

[ED: Taschenbuch], [PU: Reclam Verlag], starke gebrauchsspuren, einband an den kanten bestoßen etwas fleckig,papiergebräunte seiten und schnitt (Bi420v) Nach der Vollendung des »Faust« schrieb Goethe an Zelter: »Es ist kein Kleines, das, was man im zwanzigsten Jahr konzipiert hat, im zweiundachtzigsten auszudrücken.« Tatsächlich hat sich Goethe durch 60 Jahre ? mit längeren Unterbrechungen?mit dem Faustproblem beschäftigt, und so spiegelt das Werk inhaltlich und sprachlich seine ganze Entwicklung wider. Schon früh wurde Goethe durch das Puppenspiel und das Volksschauspiel mit diesem oft behandelten Stoff bekannt. 1774 entstanden die ersten Szenen. Als er 1775 nach Weimar ging, brachte er bereits den »Urfaust« mit. Diese frühste Fassung enthält u. a. die Szene in Auerbachs Keller und die Gretchentragödie, die mit der Kerkerszene abschließt.In Weimar formten sich weitere Teile, der Stoff ließ ihn nun nicht mehr los. Immer wieder bleibt aber für längere Zeit die Arbeit an diesem Werk liegen, und seine Freunde, vor allem Schiller, müssen ihn drängen, sie wieder aufzunehmen. So wächst die Dichtung langsam. 1808 erscheint: »Faust.Der Tragödie erster Teil.« Noch kurz vor seinem Tode beschäftigt ihn der zweite Teil, der erst 1832 erscheint. Die Fausttragödie war und ist noch heute die Symbolgestaltung des deutschen Suchens nach einer Lebensdeutung. Sic umfaßt das ganze menschliche Dasein, das Reich der Natur und des Geistes. Die Tragödie klingt versöhnend aus. Zum Schluß hört Faust nur noch die »leisen Stimmen der Gnade« als der einzigen Macht, auf deren Hilfe der Mensch im Wirrwarr seines suchend tätigen Lebens noch zu hoffen vermag.Die großartige Visionskraft der Sprache in Goethes Faustdichtung hat nichts an Wirkung durch die Zeit eingebüßt. Den Ideengehalt der Dichtung erlebt der Mensch von heute vielleicht in einem noch vertiefteren Sinne.Nach der Vollendung des 'Faust' schrieb Goethe an Zelter: 'Es ist kein Kleines, das, was man im zwanzigsten jahr konzipiert hat, im zweiundachtzigsten auszudrücken.' Tatsächlich hat sich Goethe mit längeren Unterbrechungen mit dem Fauzustproblem beschäftigt, und so spiegelt das Werk inhaltlich und sprachlich seine ganze Entwicklung wider. Die fausttragödie war und ist noch heute die Symbolgestaltung des deutschen Suchens nach einer Lebensdeutung. Sie umfaßt das ganze menschliche Dasein, das Reich der Natur und des Geistes.Die Tragödie klingt versöhnend aus. ES GIBT EIN DING ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE, von dem Schulweise träumen und das solchen, die die Weisheit erst zu löffeln haben, als Alptraum erscheint. Kunst-und Weltanschauungs-Exerzieracker für Generationen von Oberlehrern und Aufsatzthema für Generationen von Oberschülern, war und ist es ein Lehr- und Lernobjekt, ähnlich wie Pythagoras. Nur daß Pythagoras aus einem Satz besteht und eine klare nüchterne Angelegenheit ist, jenes andere Ding aber insgesamt drei Redam-Bändchen füllt und auf Worte hört wie "groß", "tief", "schön", "erhaben" - echte Lehrerworte, deren Summe am Ende doch bloß eine Zensur im Klassenbuch, eine gute oder weniger gute, ergibt. Es besteht aus lauter Zitaten, die man schon lange kennt, bevor es selbst im Lehrplan auftaucht - und es fügt sich allen Zitaten und allem Zitieren zum Trotz immer wieder zum Ganzen zusammen. Es hilft gleichermaßen Verliebten und Politikern reden - und allen Ständen, die dazwischen sind es wird mißbraucht und mißhandelt wie kein anderes Stück Kunst, und irgendeinmal begegnet man ihm, dem Ganzen, und es ist unbelastet von Träumen und Alpträumen, von Rednern und Lehrerworten, von Schulängsten und SchullangeweileIch bin Goethes "Faust" trotz der Schule auf diese Weise in der Schule begegnet. Lange war ich geneigt gewesen, das meinem damaligen Deutsch-Lehrer zuzuschreiben, der, sich souverän über den Lehrplan der Oberprima hinwegsetzend, fast ein ganzes Schuljahr lang unsere Klasse über den Exerzicracker "Faust" hetzte, der uns in die Tiefen Goethescher Philosophie trieb, uns, die Zcnsurenpeitsche in der Hand, rotgesichtig schwitzend und seine falschen Schweinsäuglcin verzückt verdrehend, über die Hänge des heiligen Parnaß jagte, bis wir vor lauter "Faust" nicht mehr japsen konnten; der uns zwang, seitenweise aus dem Reclam-Heft auswendig zu lernen und stehend, mit verteilten Rollen, ein Schul-Lesetheater aus "Faust" zu machen, und der mich, den ewig schlechten Zi-tierer und Rezitierer, zornbebend - und innerlich, wie er später bekannte, vor dem Zwang, das Lachen zu unterdrücken, fast platzend - in den Karzer zu schicken drohte und mir eine Fünf - die einzige, die ich je im Deutsch-Unterricht einhandelte - in sein blaues Zensurenbüchlein eintrug, weil ich ein Sakrileg am Faust begangen liabe: Ich sollte Faustens groben Autttittsmonolog sprechen und begann: "Habe nun - ach, Philosophie Ich wußte, daft ich den Monolog nicht richtig sprechen kann, und machte aus meiner Not einen großen Spaß tüt die ganze Klasse."Faust" überstand meinen Kabarett-Auf tritt, wie er auch die seltsame Mischung aus hellenistischer Philosophie, deutscher Gründlichkeit und völkischen Braunstiefeln, die unseren Gymnasialdirektor und "Faust"-Dozenten ausmachte, ohne Schaden überstand, ohne daß ich einen Schaden davon hatte. Ich glaube, nicht dank ihm, sondern trotz ihm las ich mich am "Faust" fest, immer und immer wieder, bis ich den ersten Teil fast auswendig konnte - nicht um ihn zu sprechen (ich habe nie wieder versucht, jenen Auftrittsmonolog zu sprechen), sondern um auch ohne Buch darin lesen zu können. Die Bedeutung, die "Faust" für mich gewann, hatte ihren Grund in der Situation, in die ich mich gestellt sah. Der "Faust" war, nur zufällig und nebensächlich Objekt von Schulstunden, mein großes persönliches Fragebuch. Fast zwanzigjährig, stand ich vor dem Abitur, das zu fürchten ich keinen Anlaß hatte, und vor der Frage: Was dann?, und darin war Furcht und Hoffnung, Sieg und Niederlage. Ich wollte studieren, ich wollte alles lernen dürfen, was es zu lernen gab. Ich brauchte nur irgendein galgenkrcuziges Aufnahmeformular zu unterschreiben - ich unterschriebe meine eigene Immatrikulation; ich mußte nur irgendeinen Braunstiefel anziehen - ich zöge in die Universität ein. Neun Gymnasiumsjahre hatte mein Vater für mich aus dem härtesten Lausitzer Granit geschlagen: Durfte ich diese Jahre wegwerfen? Die Väter bauen Häuser ihrer Hoffnungen für die Söhne: Durfte ich nach dem Richtkranz streben, oder sollte ich die Grundmauern nackt stehen lassen wie ein Bankrotteur?Ich kannte niemanden, der in jener Zeit auf solche Fragen Antwort geben konnte oder wollte.In zwei verschiedenen Umwelten lebend: in der Umwelt der humanistischen Geistesbildung - ich hatte auch wahre Humanisten unter meinen Lehrern - und in der Umwelt meiner Herkunft, suchte ich einen Sinn des Lebens, der beiden so sehr unterschiedlichen Umwelten gemeinsam wäre. Ich fand meine Frage und ihre Antwort vorge-zcichnct im "Faust". Was schon wußte ich, ein Zwanzigjähriger, damals von der Erlösung eines immer strebend sich Bemühenden? Doch lesend und immer wieder lesend, begann ich zu ahnen, daß es keine Erlösung aus dem Menschlichen, in einen Himmel welchen Namens auch immer, sondern nur eine ins Menschliche, auf die höchste Stufe der Menschlichkeit, gibt. Und daß das Immer-strebend-sich-Bemühen nicht Weg, sondern tatsächlich Ziel ist.Ich mußte die Grundmauern nackt stehen lassen: Die Steine, die ich hätte nehmen können, wenn ich den Galgenkreuz-Schein unterschrieben hätte - aus jenen Steinen wurden die Gaskammern in Auschwitz gemacht; mit Sophokles, Horaz, Seneca, mit der reinen Freude an Goethc-schen Versen: Ein Blindhaus, ein fensterloses Schneckenhaus hätte ich mir gebaut - und am Ende die Phiole der falschen Erlösung.Ich sah Goethes "Faust" auf der Bühne des Großen Hauses in Dresden. Erich Ponto spielte den Mephisto, Werner Krauss den Faust. Mephisto war kein böser Geist aus anderen Regionen, kein Teufel, kein Kobold, kein Zauberer, er war der kleine Mensch im Menschen, kein Schuft, ein Wicht, sich selbst an Herz und Hirn auf Mittelmaß und Mittelwert beschneidend, seine eigene Erbärmlichkeit ironisierend und sie als allgemein menschliches Maß ausgebend."Jurij Brezan"Auszüge aus dem buch"Auszüge aus dem Buch, DE, [SC: 7.50], gewerbliches Angebot, 15 cm, 296 S, [GW: 450g], [PU: Stuttgart], Offene Rechnung, Internationaler Versand<